Thursday, June 28, 2007

Neurale Plastizität - Teil I

Im Zusammenhang mit chronischen Schmerzsyndromen taucht immer wieder der Begriff "neurale Plastizität" auf. Es handelt sich dabei um einen Prozess der erst in den letzten Jahren - dank neuer bildgebender Verfahren - entdeckt wurde. Mit diesen Technologien kann man "dem Gehirn beim arbeiten zuschauen" - und damit sehen welche Bereiche zu welcher Zeit aktiv sind.

Man hat auch die Möglichkeit Veränderungen im Gehirn des Patienten im Laufe der Zeit zu dokumentieren - und so zu sehen ob und wie die Therapie das Gehirn verändert.

Auf diese Art und Weise hat man bereits bei vielen bisher als (fast) unheilbaren geltenden Erkrankungen entdeckt dass die ersten Veränderungen im Gehirn des Patienten auftreten - und dann erst nach und nach auch Symptome im Körper bzw. an den Extremitäten entstehen.

CRPS - auch bekannt unter den Namen Morbus Sudeck, Sympathische Reflexdystrophie, etc. ist eine dieser Problematiken; es ist primär eine Erkrankung des Gehirns! - die ganzen sichtbaren Symptome (Schwellung, Bewegungseinschränkungen,...) entstehen erst später - als Folgeerscheinung.

Eine symptomatische Behandlung ist in diesem Fall wenig hilfreich solange die (versteckte) Ursache nicht behoben werden kann.

Eine ähnliche Problematik sind auch Symptome die unter dem Begriff RSD/RSI zusammengefasst werden (Repetitive Strain Disorder/Repetitive Strain Injury). Im Deutschen u.a. bekannt als Tennisellenbogen oder der neu-kreierte "Mausarm". Bei vielen dieser Symptome findet man an der schmerzhaften Stelle (trotz intensiver Suche) keinerlei pathologische Veränderungen - die Sehnenansätze sind normal, nicht entzündet. Trotzdem sind Bewegungen (extrem) schmerzhaft. Auch hier finden sich bei Untersuchungen des Gehirns starke Veränderungen in der dem Körperteil zugeordneten Karte auf der Gehirnrinde.

Neurale Plastizität beschreibt also einen Prozess im Gehirn bei dem sich die tatsächliche Struktur unseres Gehirns verändert. Kurzfristig geschieht das über eine andere "Verschaltung" der Nervenzellen - langfristig über Neubildung von Synapsen und Nervenzellen so dass die Veränderungen "stabil" bleiben und auch Jahre später noch abgerufen werden können.

Das ist der Grund warum man z.b. das Fahrradfahren nie verlernt - es ist für immer fest in der Struktur unseres Gehirns gespeichert.

Ask A Ninja

Dieser Prozess, der für das lernen so wichtig ist, hat aber auch einen grossen Nachteil: wir lernen unter Umständen Dinge die hinderlich sind - z.b. chronische Schmerzen. Im Deutschen hat sich der Begriff "Schmerzgedächtnis" dafür eingebürgert.

Sunday, June 17, 2007

Theorie des Spiegeltrainings - Teil II



Im ersten Teil habe ich den Funktionsmechanismus zusammengefasst; in diesem Posting möchte ich den neurophysiologischen Hintergrund erläutern.

Ein grosser Teil der Oberfläche unseres Gehirns ist für eine Karte der Körperoberfläche reserviert, d.h. jeder Körperteil lässt sich auf dieser Karte auffinden. Wir verwenden das gleiche Prinzip mit Landkarten und Stadtplänen. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: möchte ich z.b. Entfernungen messen dann brauche ich nur auf der Karte nachschauen und muss die Strecke nicht in Wirklichkeit nachfahren.

Diese Karten sind in unserem Gehirn genetisch festgelegt, d.h. jeder besitzt eine Karte auf der 2 Arme, 2 Beine, etc. vorhanden sind - auch wenn die betreffende Person z.b. ohne Arme geboren wird! Ja - richtig gelesen - auch Menschen denen durch einen (Gen)Defekt eine Extremität fehlt können Phantomschmerzen empfinden weil ja die Karte dafür vorhanden ist.

Die Karten sind aber natürlich nicht statisch sondern werden laufend angepasst; so findet man bei Musikern (Violinisten) eine vergrösserte Darstellung der Finger einer Hand. Wo also mehr Input erzeugt wird - durch häufigen konzentrierten Gebrauch - vergrössert sich das Areal auf der Gehirnrinde.

Umgekehrt bei Amputationen: dort wird vom abgetrennten Körperteil kein Signal mehr empfangen und der entsprechende Teil auf der Gehirnrinde schrumpft; schlimmer noch: die benachbarten/angrenzenden Teile wandern in das Gebiet ein; daher ist es völlig normal dass Patienten die einen Arm verloren haben an der Wange empfindlicher werden - denn diese Bereiche liegen auf der Karte nebeneinander. Das was früher als vom Arm kommend empfunden wurde wird jetzt auf die Wange und den Arm umgeleitet.

Diese Änderungen in der Hardware des Gehirns bezeichnet man als "Neurale Plastizität"; sie finden auch statt wenn man neue Bewegungen erlernt. Manche dieser Veränderungen sind erwünscht (eben wie beim lernen) - bei chronischen Schmerzsyndromen sind sie aber eher nachteilig weil das Endergebnis chronischer zentral erzeugter Schmerz ist.

Durch das Spiegeltraining (und auch andere Therapieformen, die normales Feedback wiederherstellen) kann man diese Prozesse rückgängig machen und dauerhafte Erfolge erzielen.

Thursday, June 7, 2007

Theorie des Spiegeltrainings - Teil I

Spiegeltraining (besser: Training mit visuellem Feedback) funktioniert - basta.

Man hat es inzwischen mit fast allen chronischen Schmerzsyndromen versucht (Phantomschmerz, CRPS, Querschnittlähmungen, Schlaganfall, ...) und die Ergebnisse sind immer die gleichen: kurze Trainingsdauer führt zu schnellen und v.a. langanhaltenden Erfolgen.

Was ist das besondere an dieser Art der Therapie das den Erfolg ausmacht?

Wen man nicht viel Zeit hat und nur eine einzige Studie lesen möchte kommt man um die hier nicht rum:

A.J. Harris "Cortical Origin of Pathological Pain", THE LANCETVol 354 • October 23, 1999

Es ist genaugenommen keine Studie, sondern "nur" eine Hypothese - aber da sie noch aus dem letzten Jahrtausend stammt ;-) und man inzwischen fleissig weitergeforscht hat wurde inzwischen alles bestätigt was Harris noch als Spekulation bezeichnete.

Meine Zusammenfassung:

Jeder kennt das Gefühl das man empfindet wenn die Information die uns unser Gleichgewichtsorgan liefert nicht mit der Info übereinstimmt die unsere Augen liefern.

Bezeichnungen dafür sind z.b. Seekrankheit, Reisekrankheit, etc.

Dabei ist es völlig egal ob sich der Körper bewegt und die Augen keine Bewegung wahrnehmen oder umgekehrt.

Wer noch nie einen First-Person-Shooter erlebt hat dem wird normal nach kürzester Zeit übel (das zuschauen reicht dabei schon aus). Richtschützen in modernen Kampfpanzern erleben das umgekehrte Gefühl bei der Fahrt durchs Gelände - denn ihre Optiken sind stabilisiert, d.h. sie sehen keine Bewegung obwohl ihr Körper sich heftig bewegt.

Das Besondere an dieser Empfindung: das Endresultat ist nicht Schmerz, sondern Übelkeit. Vermutlich deshalb weil unser Gehirn Schwindel als von einer Vergiftung ausgehend interpretiert und Übelkeit erzeugt um den Magen leerzupumpen.

Harris spekuliert dass chronischer Schmerz nach dem gleichen Muster funktionieren könnte - basierend auf einer Inkongruenz zwischen Bewegungsabsicht, Bewegungsempfinden und visuellem Feedback. Es wurde nämlich eine Region im Gehirn entdeckt die dann aktiv wird wenn sich zwischen diesen 3 Faktoren Unstimmigkeiten ergeben.

Da - besonders bei Phantomschmerz - kein visuelles Feedback mehr existieren kann, weil der betroffene Körperteil nicht mehr vorhanden ist, ist auch klar. Und genau dieses Problem kann man eben mit dem Spiegel sehr elegant lösen: das Spiegelbild der noch vorhandenen Extremität sieht aus wie der fehlende Teil. Und da unser Gehirn nicht zwischen Realität und optischen Täuschungen unterscheiden kann (siehe die Postings zum Thema fehlerhafte Wahrnehmung) sieht es das Spiegelbild als echt an und der Schmerz verschwindet.


Schmerz entsteht erst wenn alle automatischen Mechanismen die unserem Gehirn zur Verfügung stehen ausgeschöpft sind (Schonhaltungen, etc.); erst dann empfinden wir Schmerz der uns durch die starke emotionale Komponente dazu bringen soll "etwas (dagegen) zu unternehmen". In diesem Fall sehe ich Schmerz nicht als Warnsignal, sondern eher als ein Zeichen dass unser Gehirn nicht in der Lage ist aus einer Situation Sinn zu machen und deshalb "uns" einschaltet damit wir uns darum kümmern.

Ob Frösche auch Phantomschmerz empfinden kann ich leider nicht sagen ;-):

Tasty

Saturday, June 2, 2007

Phantomschmerz

Die vorausgegangenen Postings haben gezeigt wie ungenau unsere Wahrnehmung in Wirklichkeit ist. Wir empfinden es anders - aber dieses Gefühl ist auch nur eine "Fassade" die uns von unserem eigenen Gehirn vorgetäuscht wird.
Ist vermutlich auch besser so - denn ohne das Gefühl Kontrolle zu haben würden wir nicht lange überleben; diesen Effekt sieht man sehr schön in Experimenten in denen man jemandem experimentell Schmerzen zufügt:
Personen denen man sagt dass sie das Experiment jederzeit abbrechen können empfinden den gleichen Reiz (Hitze, Strom, ...) als weit weniger schmerzhaft als Probanden die nichts machen können.

Im Tierversuch zeigt sich ausserdem dass Stresssituationen die nicht kontrolliert werden können zu all den typischen Problemen führen wie Bluthochdruck, Magengeschwüren, etc. - während das Gefühl Kontrolle über die Situation zu haben das verhindert.

Zurück aber zu unserer Wahrnehmung: die "Fehler" die unser Gehirn macht wenn es um das Sammeln von Informationen geht kann man auch nutzen um z.b. chronische Schmerzen zu behandeln.

Eine der schwierigsten Situationen im Bereich chronischer Schmerz ist Phantomschmerz. Die bisherigen Erklärungsmodelle sind alle gescheitert weil sie leider das Gehirn des Patienten völlig ausser acht gelassen haben. Man hat versucht alles mit einer rein peripher anatomischen Veränderung zu erklären, d.h. abgetrennte Nerven, etc.
Niemand ist auf die Idee gekommen eine Therapie zu entwickeln die die Sichtweise des Gehirns des Patienten mit einbezieht. Bis V.S. Ramachandran die "Mirror-Box" Therapie entwickelt hat.

Dabei wird dem Gehirn vorgetäuscht dass der amputierte Körperteil noch vorhanden ist und ganz normal bewegt werden kann; da das Gehirn dann keinen Konflikt mehr zwischen Bewegungs- und visueller Information erkennen kann hört der Schmerz nach wenigen Minuten auf:



Die ganze Therapie umfasst natürlich einen etwas längeren Zeitraum - also mehrere Trainingseinheiten pro Tag über mehrere Wochen - aber die Resultate sind so vielversprechend - und v.a. sofort zu spüren - dass es sich wirklich lohnt es zu probieren.

Die gleiche Technik kann man auch für andere schwerwiegende chronische Schmerzprobleme verwenden - allen voran CRPS - hier in Deutschland leider noch unter den Bezeichnungen Morbus Sudeck und Sympathischer Reflexdystrophie bekannt. Allerdings ist es dabei oft nötig die Therapie dabei zunächst auf einem niedrigeren Level zu starten da die Empfindlichkeit teils so hoch ist dass die Spiegeltherapie nicht gleich am Anfang verwendet werden kann.

Ach ja - da Phantomschmerz hier in Deutschland sehr gut erforscht wurde kann man alle Prinzipien die in der "Mirror-Box" Anwendung finden auch auf chronische Rückenschmerzen übertragen denen man dann ein für allemal Ade sagen kann - genau das also was ich in der täglichen Praxis mache.