Wissenschaft ist eine wunderbare Sache - aller Wahrscheinlichkeit nach die wichtigste Erfindung die die Menschheit je zustande gebracht hat. Mit wissenschaftlichen Methoden lassen sich alle bekannten (und teils noch unbekannte) Phänomene untersuchen.
Ob es sich dabei um die Laufbahnen der Planeten, den Sonnenuntergang oder das Verhalten von Bakterien handelt ist dabei egal. Die Werkzeuge des Wissenschaftlers sind immer die gleichen: das Phänomen beobachten, beschreiben, definieren - und davon ausgehend Theorien aufstellen. Diese Theorien werden dann getestet und mit dem tatsächlichen Verhalten verglichen woraufhin der ganze Prozess wieder von vorne startet.
Photosynthese ist einer dieser enorm wichtigen Prozesse den ich hier bildlich dargestellt habe:
Im Laufe der Jahre entwickeln sich Theorien also - sie unterliegen einem evolutionären Prozess; diejenigen die nicht in der Lage sind sich experimentell zu behaupten sterben aus.
Um diesen Level an Genauigkeit zu erreichen war - und ist es nötig - jedes Phänomen in seine kleinsten Bausteine zu zerlegen - man nennt das auch "Reduktionismus". Um z.b. im Ernährungsbereich Aussagen treffen zu können werden Lebensmittel in Kategorien wie Kohlehydrate, Eiweis, Vitamine, etc. aufgeteilt und separat untersucht.
Das ist bis zu einem gewissen Level auch nötig und sinnvoll - um aber die gewonnenen Erkenntnisse sinnvoll im alltäglichen Leben anwenden zu können ist eine "Re-Synthese" nötig, d.h. man muss andere - oft weit entferne Forschungsbereiche mit einbeziehen.
Ein Beispiel: Essen hat eine sehr starke soziale Komponente - es dient der Gruppenbildung und ist eine Art von "social grooming" die wir als Herdentiere brauchen. Isst man alleine fehlt also diese starke soziale/psychische Komponente. Deshalb fühlen sich Singles trotz evtl. besserer Ernährung (rein wissenschaftlich reduziert gesehen) bei weitem nicht so "angenehm satt" wie wenn man in Gesellschaft isst.
Auch die Geschwindigkeit mit der man seine Mahlzeiten zu sich nimmt hat einen grossen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden - auch wenn der Nährwert gleich ist.
Diese Reduzierung auf einzelne Komponenten ist auch im medizinischen Bereich üblich - das sieht man alleine schon an der Unterteilung in die ganzen unterschiedlichen Fachgebiete: Orthopädie, Pädiatrie, Innere Medizin, etc.Was macht man aber nun mit einem Patienten der an Rückenschmerzen leidet die er nach einer verheilten Wirbelsäulenfraktur hat? Ist er noch ein orthopädischer Patient (seine Knochen sind ja eigentlich wieder in Ordnung)? - oder ist er "ein Fall für den Psychologen" (denn Schmerz ist ein psychologisches Phänomen)?
Es gibt nach wie vor keinen Beruf dem offiziell die Behandlung eines solchen Falles zuzuteilen ist - obwohl immer mehr Studien und Erfahrungsberichte zeigen dass längst Zeit dafür ist.
Die neuen Technologien die uns durch das Internet zur Verfügung stehen haben die Welt kleiner und "flacher" gemacht wie Thomas Friedman beschreibt. Die alteingesessenen Institutionen und Denkweisen können mit diesen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten. Daher ist ein radikales Umdenken aller beteiligten dringend erforderlich - ein Prozess der nicht ohne Herausforderung ist.
In der Literatur spricht man immer von "interdisziplinären Teams" die diese Aufgabe erfüllen sollen - etwas das wir in unserem Rehazentrum auch mit einigem Erfolg täglich praktizieren.
Ich möchte behaupten dass gerade die Physiotherapie ideal am Schneidepunkt steht und diese Aufgabe (in Zusammenarbeit mit allen anderen) sehr gut übernehmen kann.
Uns steht ein grosses Repertoire an Techniken und Möglichkeiten zur Verfügung - von passiven zu aktiven Anwendungen. Ausserdem haben wir in der Regel mehr Zeit mit dem Patienten zur Verfügung so dass wir auch ein gewisses Vertrauensverhältnis aufbauen können. So erfahren wir oft mehr als der behandelnde Arzt dem leider oft nur wenig Zeit zur Verfügung steht.
Wir müssen über die Grenzen schauen und viele verschiedene Bereiche unter einen Hut bringen. Daraus entsteht dann im Laufe der Zeit eine neue Theorie die unser Verständnis des menschlichen Körpers und seiner Funktionsweise komplett auf den Kopf stellt - die aber den Vorteil hat dass wir darauf basierend neue und effektive Behandlungsmethoden entwickeln und anwenden können.
Die Vorarbeit wurde zum Glück schon geleistet - durch die Arbeit von Melzack und Wall die dem ganzen den Namen "Neuromatrix Theory" gegeben haben.
In den nächsten Postings werde ich versuchen die Grundlagen dieser Theorie zu erklären. Es wird nicht einfach sein dem Ganzen zu folgen weil das meiste davon gegen unsere Intuition geht - aber genau das ist der Schlüssel zum Erfolg. Nur wenn wir begreifen wie imperfekt wir sind können wir uns verbessern.
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