Sunday, September 2, 2007

Bewegung und Erfahrung

Mein Bruder hat in einem Kommentar folgenden Textauszug gepostet:

"It's amazing, even with 16 pixels, how much our subjects have been able to do," says Professor Mark Humayun who has developed the device at the Doheny Eye Institute at the University of Southern California in San Francisco. "We were completely wrong... We thought from simulations that 16 would give you distinction only between light and dark and maybe some greyscale." In fact patients are able to tell the difference between objects such as a cup, a plate and a knife. They can also tell in which direction objects are moving in front of them. "The brain is able to fill in a lot of the information," he adds. (Spotlight, August 2007, "A second chance for sight", S. 28ff)

Man kann hier sehr eindrucksvoll sehen wie wenig Information unser Auge liefern muss damit wir uns in unserer Umgebung zurechtfinden können. Der Rest wird nach Bedarf von unserem Gehirn ergänzt ("Filling-in"); Erfahrung spielt hier die grösste Rolle.

Der Bereich unseres Auges mit dem wir scharf sehen können - die Fovea ist winzig. Um das auszugleichen und uns trotzdem einen guten Überblick über unsere Umwelt zu verschaffen nutzt unser Gehirn einen anderen Mechanismus: aufgrund von als wichtig eingestuften Informationen (v.a. Bewegung, laute Geräusche) wird ein Orientierungsreflex aktiviert der die Augen (und evtl. den ganzen Körper) in die Richtung des relevanten Stimulus lenkt.

Das sieht man sehr schön wenn ein Auto mit Sirene vorbeifährt - die meisten Menschen schauen in die Richtung des Geräusches und drehen sich oft sogar um.
Daraus lassen sich für den Alltag gleich ein paar Lektionen ableiten:

- es wird nicht nur der Körper auf den Reiz (Bewegung, Geräusch) ausgerichtet - sondern auch die Aufmerksamkeit umgelenkt. Die Produktivität sinkt also deutlich wenn man an einem Schreibtisch arbeitet an dem immer wieder jemand vorbeigeht. Jede Bewegung die man nur aus dem Augenwinkel heraus wahrnimmt lenkt ungemein ab. Das ist auch zu beachten wenn man z.b. Spiegeltherapie zuhause durchführt - möglichst in ruhiger Umgebung arbeiten.

- Damit man schnell genug reagieren kann ist die Bewegung der Augen mit der Aktivität der Nackenmuskulatur gekoppelt, d.h. die Augen bestimmen zu einem Grossteil was die Nackenmuskeln machen. Wer also Verspannungen im Bereich des Hinterkopfes hat sollte beim Training/zur Entspannung dies berücksichtigen und Augenbewegungen ins Training mit einbeziehen. "Augengymnastik" eignet sich natürlich auch für zwischendurch um die Verspannungen gleich gar nicht entstehen zu lassen.

Auf dieser Seite findet sich ein sehr interessantes Experiment:
anhand von nur 15 Punkten die sich bewegen und an den Gelenken angebracht sind können wir verschiedenste Qualitäten unterscheiden - ist es ein Mann oder eine Frau? schwer, leicht?, traurig, fröhlich? nervös, entspannt?
Unser Gehirn interessiert sich in diesem Fall nicht für die Punkte an sich - sondern für das Verhältnis der Punkte zueinander.

Auch diesen Effekt kann man im Alltag ausnutzen:
will man als Radfahrer oder Jogger besser gesehen werden ist es am besten die Leuchtmarkierungen (die man haben sollte) in Gelenknähe anzubringen.

Tranquility

2 comments:

Unknown said...

Das Thema sollte man im Architekturstudium lehren, denn ich kenne mindestens zwei Bürogebäude sehr gut, in denen man die Mittelgänge von den Büros nur mit Glaswänden abgetrennt hat (wegen Tageslicht). Selbstverständlich gibt es die auch mit mattierten Streifen in Sichthöhe (aber natürlich nur für Chefbüros), so dass alle an der Gangseite sitzenden Mitarbeiter die volle Ladung Ablenkung abbekommen.
Als wir damals in das neue Gebäude einzogen hatte ich noch dazu genau den Platz, an dem ich schräg zum Eingang des Gebäudeteils sehen konnte, hatte also, wenn ich als erster da war alleine innerhalb der ersten zwei Stunden mindestens 30 ankommende Mitarbeiter + 2 x 15 Kaffeeholvorgänge zu ertragen.
Am dritten Tag hab ich dann ein sehr breites rollbares Whiteboard schräg vor mir aufgestellt und das Problem so elegant gelöst.
Wenn ich dann heute durch diese beiden Gebäude gehe ist es sehr belustigend, die ganzen Poster, Großausdrucke, T-Shirts usw. zu sehen, die die Glaswände "schmücken":-)

Matthias Weinberger said...

Man kann diesen automatischen Orientierungsreflex schon unterdrücken - aber nur nachdem die automatische Reaktion schon eingeleitet wurde.
So und so ist es eine Ablenkung die unsere Produktivität enorm senkt.

An dem was du und deine Kollegen dann gemacht haben sieht man ja dass es einen auf die Dauer in de Wahnsinn treiben kann und dass man sich was einfallen lässt wie man die Ablenkung umgehen kann.