Wednesday, August 15, 2007
Interview
Danke dem World-Wide-Web kann man sowas praktisch per Email durchführen - wäre auch wegen den verschiedenen Zeitzonen etwas schwierig es live zu machen.
Die Fragen hat gestellt:
Sarah M. Whitman, M.D.
Clinical Assistant Professor
Department of Psychiatry
Drexel University College of Medicine
Und die Antworten sind natürlich von mir:
Ich bin immer wieder auf's Neue überrascht und begeistert wie einfach es ist mit bestehenden Technologien solche Kooperationen ins Leben zu rufen.
Viva La Revolution! - Teil 5
Wir wissen auch dass diese Karten sich ständig verändern/anpassen.
Wesentlich schockierender ist es dass wir sogar Teile unserer Umgebung als zu unserem Körper gehörend empfinden können!
Man nehme dazu eine Versuchsperson, einen Tisch und eine Gummihand (Faschingsbedarf) ;-).
Die Person setzt sich an einen Tisch und legt die Hände auf die Oberschenkel. Der Tester berührt nun gleichzeitig die Gummihand die auf dem Tisch liegt und die echte Hand unter dem Tisch.
Da nun im Gehirn des Probanden die visuelle Information von der Gummihand mit der taktilen Information der echten Hand zusammentrifft "glaubt" der autonome Teil des Gehirns dass die Gummihand die echte Hand ist - schliesslich "sieht" es ja dass die Berührung und die visuelle Kontrolle zusammenpassen.
Macht man das einige Minuten wird es sogar als schmerzhaft empfunden wenn der Tester plötzlich mit der Faust auf die Gummihand schlägt.
Und nur dass niemand glaubt dass das nur bei bestimmten Personen funktioniert: diese und ähnliche "Tricks" funktionieren bei jedem Menschen der ein Gehirn hat. Unsere Gehirne sind einfach so geschaltet dass sich solche Lücken ausnutzen lassen. Wir können einfach nichts anders - auch wenn wir wissen dass alles nur eine Illusion ist.
Soviel zu allen Diskussionen die die Wörter "Schmerz" und "Psyche" enthalten.
Es geht aber auch noch viel schlimmer - eine Gummihand sieht wenigstens noch aus wie ein Körperteil der zu uns gehören könnte - aber das gleiche Prinzip funktioniert auch mit der reinen Tischoberfläche. Auch die Verwendung eines Blindenstocks führt zu dauerhaften Veränderungen des Körperbildes wie man erst vor kurzem gezeigt hat: Abstract.
Werkzeuge sind deswegen so wichtig für uns Menschen weil sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Verlängerung für unseren Körper darstellen. Und nur deswegen sind wir auch so geschickt im Umgang mit ihnen.
Unser "peripersonal space" ist wie ein unsichtbares "Kraftfeld" um unseren Körper herum den unser Gehirn als zu uns gehörend behandelt. Sonst könnten wir ja auch durch keine Tür mehr gehen wenn wir einen grossen Rucksack auf dem Rücken haben oder wir würden ständig mit unseren Kleidungsstücken irgendwo hängenbleiben.
Bei normalen Menschen ist dieser peripersonal space ungefähr so breit wie wenn man den Arm ausgestreckt hält - die gleiche Distanz also die man anderen Menschen gegenüber einnimmt wenn man mit ihnen redet.
Benutzt man Werkzeuge regelmässig, dann werden sie nach und nach ins Körperschema mit aufgenommen und man empfindet Berührungen am Werkzeug so als ob der Körper direkt berührt worden wäre.
Man vermutet dass inzwischen dass Krankheiten wie Anorexie und andere "Body Image Disorders" auf einem verzerrten/veränderten Körperschema beruhen. Diese Menschen empfinden ihren Körper anders (weil sie die Information von der Karte auf der Gehirnrinde abrufen) als er in Wirklichkeit ist. Nur eine Veränderung des Körperschemas kann hier in der Therapie effektiv sein.
Sunday, August 12, 2007
Viva La Revolution! - Teil 4
Der autonome Teil unseres Gehirns ist sehr alt - ein Überbleibsel aus grauer Vorzeit. Deswegen hört man auch immer wieder die Begriffe eines reptilischen Gehirns, etc.
Um das Überleben zu sichern ist es wichtig sehr schnell reagieren zu können - was sich in den zahlreichen Reflexen zeigt die wir alle "in" uns haben. Reflexe sind automatische Reaktionen die uns ohne Überlegung aus einer Gefahrensituation befreien sollen. Wir haben keine bewusste Kontrolle darüber.
Diese Aufteilung geht sogar soweit dass unser visuelles System in zwei getrennte "Pathways" aufgeteilt ist - den "where" und "what" pathway.
Der "where-pathway" hat nur eine Aufgabe: unserem Gehirn möglichst schnell die Lokalisation eines Objektes mitzuteilen das sich auf uns zubewegt (damit wir schnell flüchten bzw. abwehren können).
Wenn jemand einen Ball auf uns zuwirft ist es für unser Gehirn (und unsere Gesundheit/Sicherheit) erstmal völlig unwichtig welche Farbe dieses Objekt hat - nur die Richtung, die Geschwindigkeit und der Kurs sind entscheidend; dieser Teil der Informationsverarbeitung passiert in weniger als 100 Millisekunden. Haben wir uns dann in Sicherheit gebracht und haben mehr Zeit uns um das Objekt zu kümmern dann nehmen wir erst bewusst die Farbe und die genaue Form des Objektes war - das dauert über 250 Millisekunden.
Da diese beiden Pathways voneinander getrennt laufen, d.h. sie sind anatomisch eigenständig im Gehirn nachweisbar, kann man sie auch getrennt voneinander untersuchen.
Es gibt ein klinisches Phänomen namens "Blindsight" das dies sehr gut demonstriert: diese Patienten haben durch einen Mikro-Schlaganfall oder Tumor, etc. den "what" pathway verloren - er steht nicht mehr in Verbindung mit dem Bewusstsein, d.h. sie sind blind weil sie nicht mehr bewusst sehen können.
Trotzdem sind sie in der Lage die Position von Objekten im Raum zu bestimmen (zu erahnen). Die Trefferquote liegt dabei deutlich über dem was man erreicht wenn man nur raten würde.
Für normale Menschen hat diese Einteilung in 2 Pathways aber auch eine sehr wichtige Bedeutung: will man konzentriert an etwas arbeiten dann ist es wichtig dass im Sichtfeld und im peripheren Sichtfeld möglichst Ruhe herrscht - sonst werden wir über den automatischen Stellreflex ständig aus unserer Konzentration gerissen.
Der Stellreflex bewegt den Kopf nämlich automatisch in die Richtung in der eine Bewegung oder ein Geräusch auftaucht. Das war zu Zeiten von Säbelzahntigern und anderen Raubtieren in der Umgebung unserer Vorfahren ganz nützlich - und deswegen haben wir auch heute noch die gleichen Mechanismen in unserem Gehirn.
Auch "Visual Clutter", d.h. eine Umgebung mit jeder Menge kleiner Details lenkt unglaublich ab; deshalb sinkt die Produktivität enorm wenn der Schreibtisch an/auf dem man arbeitet mit Dingen übersäht ist.
In der (visuellen) Ruhe liegt die Kraft. ;-)
Diese Experimente zeigen sehr gut welche komplexen Bewegungen unser Gehirn/Körper ausführen kann ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Ein weiteres jedem bekanntes Beispiel sind z.b. die automatischen Reaktionen wenn man an Spinnen, Ratten, etc. denkt oder Bilder/Videos davon sieht.
Unserem Bewusstsein ist klar dass in dem Moment in dem man ein Bild einer Tarantel sieht keine echte vorhanden ist - unser autonomer Teil interessiert sich dafür aber nicht und löst trotzdem die "passenden" Reaktionen aus: Gänsehaut, Ekel, etc.
Der autonome Teil kennt in seinen Reaktionen nur das Motto "lieber zu früh als zu spät".
Diese automatischen Reaktionen ziehen teils starke Veränderungen in der Muskelansteuerung nach sich; werden sie oft hintereinander ausgelöst dann können sich Muskeln auch dauerhaft verspannen. Deswegen ist es wichtig seine Umgebung möglichst so zu gestalten dass sie nicht noch mehr zur dauernden Reflexauslösung beiträgt. Dazu zählt die Positionierung des Schreibtisches, des Monitors und (meiner Meinung nach) die Auswahl an Signaltönen die man am Telephon oder Computer einstellen kann.
Man darf diese Phänomene (und hunderte andere) nicht einfach als Spielerei oder Kuriositäten abhandeln; wenn man das Gehirn verstehen will, muss man sich mit diesen Sachen eingehend beschäftigen, denn nur darüber erkennt man wie unser Gehirn arbeitet.
Und nur wenn man den autonomen Teil direkt beeinflusst, kann man effektive Therapien entwickeln und anwenden.Saturday, August 11, 2007
Viva La Revolution! - Teil 3
Das grösste Hindernis das es zu überwinden gibt wenn es um das Verständnis der Neuromatrix Theorie geht liegt leider in uns selbst.
Dan Dennett beschreibt es so: "Wenn man jemanden über Politik fragt hat er eine Meinung. Fragt man ihn über (sein) Bewusstsein ist jeder ein Experte - auch wenn das nicht der Fall ist".
In unserem Gehirn gibt es einen Bereich (den "Interpreter" nach Gazzaniga) dessen Aufgabe es ist unserem Bewusstsein Erklärungen zu liefern -auch wenn diese absolut absurd sind. Das ist nötig damit "wir" (unser Bewusstsein) zu jeder Zeit das Gefühl haben in Kontrolle zu sein und ein einheitliches und zusammenhängendes Körperbild erzeugt wird.
Am besten sieht man was passiert wenn dieses einheitliche Körperbild nicht mehr vorhanden ist: bei schizophrenen Patienten funktioniert das nicht mehr - deshalb hören sie manchmal Stimmen die eigentlich aber nur eigene Gedanken sind die ihr Gehirn nicht mehr als eigenerzeugt erkennt. Das gleiche passiert bei Menschen die z.b. ein "Alien Hand Syndrome" entwickeln - sie verlieren die Verbindung zu ihrer Hand die sich daraufhin wie von Geisterhand von selbst bewegt.
Das führt im Extremfall soweit dass sie versuchen sich selbst den Arm abzuschneiden (er ist ja kein Teil von ihnen) - oder der Körperteil amputiert wird.
Ein weniger extremes Beispiel das die meisten schon selbst erlebt haben ist z.b. das Gefühl eines eingeschlafenen Arms oder Fusses oder einer betäubten Wange nach einem Zahnarztbesuch - auch hier hat man oft den Eindruck das der betroffene Körperteil nicht mehr zu einem selbst gehört.
Ein kleines Experiment dazu ist die sogennante Kohnstamm-Illusion: dabei stellt man sich nah an eine Wand, die Arme hängen locker neben dem Körper. Dann drückt man so fest man kann mit dem Handrücken für ca. 1 Minute gegen die Wand. Danach macht man einen Schritt zur Seite und beobachtet was passiert - der Arm bewegt sich wie von alleine nach oben.
Hier wird das Körperbild für kurze Zeit verändert indem der "Richtwert" für den Grundtonus hochgesetzt wird - und selbst hier hat man schon das Gefühl dass einem der Arm nicht mehr gehorcht.
Wie man sehen kann ist es also absolut nötig eine einheitliche Illusion aufrechtzuerhalten weil wir sonst im Alltag nicht mehr funktionieren könnten.
Nur wenn man sich von dieser Vorstellung der eigenen Perfektion trennt kann man die Neuromatrix verstehen und damit arbeiten. Man muss nämlich diese Illusion sehen als was sie ist und ihre Schwächen ausnutzen - und davon gibt es jede Menge.
Am besten eignen sich dazu optische Illusionen - sie führen jedem vor wie ungenau unser wichtigster Sinn - das Sehen ist.
Diese "Schwäche" macht sich z.b. die Spiegeltherapie zunutze: unser Gehirn - also der autonome Teil den man beeinflussen will kann nämlich nicht unterscheiden ob er ein Spiegelbild sieht oder nicht und behandelt den visuellen Input als Realität.
Das Fernsehen benutzt eine der grössten Schwächen überhaupt: die Bilder die unseren Augen präsentiert werden sind ja alles Standbilder - es findet gar keine Bewegung statt. Da aber die Bildabfolge so dicht hintereinander erfolgt kann unser Gehirn die kurzen Pausen dazwischen nicht wahrnehmen und es ergibt sich das Gefühl von Bewegung.
Wir nehmen auch nicht wahr dass der Bildschirm aus vielen kleinen Punkten besteht die nur 3 Farben darstellen können - ab einer gewissen Distanz verschwimmen die Punkte zu einem einheitlichen Bild.
Viele andere Dinge im täglichen Leben machen sich somit unsere Fehler (?) zunutze - warum soll die Therapie dabei eine Ausnahme bilden?Viva La Revolution! - Teil 2
Den Behandler interessiert nicht mehr das Körperbild das seine Augen haben - sondern das Körperbild das das Gehirn verwendet um Entscheidungen (z.b. über Bewegungen) zu treffen.
Beispiel: im "alten" Denkmodell war nach einer Amputation des Unterarms dieser nicht mehr vorhanden. Er war ja schliesslich nicht mehr zu sehen - weder für den Therapeuten noch für den Patienten. Deswegen konnte man sich auf Phantomschmerzen auch keinen Reim machen und keine effektive Therapie entwickeln. Die Therapien die es gab haben versucht periphere Auffälligkeiten zu verringern - Beseitigung von Vernarbungen, etc. - jedoch alle nur mit teilweisem Erfolg, d.h. nur ein kleiner Prozentsatz der Patienten hatte weniger Schmerzen und das auch nur für gewisse Zeit.
Im neuen Denkmodell (der "Neuromatrix") versetzt man sich in den autonomen Teil des Gehirns. Und dieser "sieht" sehr wohl noch einen Unterarm - weil die entsprechende Karte noch auf der Gehirnrinde vorhanden ist. Sie ist zwar verändert (siehe neurale Plastizität) - aber das stört wenig.
Da das neue Modell jetzt endlich die Ursache für diese Art von Schmerzen berücksichtigt ist es möglich geworden Therapien einzusetzen die über 90% Erfolgsquote aufweisen.
Die gute Nachricht dabei: alle Arten von chronischen Schmerzen teilen sich das gleiche Entstehungsprinzip - und sind daher mit ähnlichen Techniken behandelbar.
Die Suche nach eindeutigen Schäden war und ist ja auch im Bereich (chronischer) Rückenschmerzen katastrophal fehlgeschlagen. In den meisten Fällen - bei den sogenannten unspezifischen Schmerzen - lassen sich keine Auffälligkeiten finden die die Schmerzen und das Schmerzverhalten erklären können.
Nach dem neuen Modell geht man davon aus dass es weniger einer Reparatur bedarf ,sondern dass die Therapie auf ein "Tuning"/ein "neu kalibrieren" des Bewegungsapparates hinauslaufen muss. Gordon Waddell ist hier der bekannteste (und beste) Vorreiter dieses Denkens.
Die Forscher die die genauen Einzelheiten untersuchen setzen sich aus einer bunten Mischung zusammen: die meisten sind Psychologen (v.a. experimentelle Psychologen), andere sind Ärzte - und auch der ein oder andere Physiotherapeut ist dabei (Lorimer Moseley).
Und wie im ersten Teil schon beschrieben: wer ist für die Umsetzung dieser Therapien im Alltag zuständig?
Offiziell gibt es noch keinen Beruf der das macht - wieso greifen wir nicht einfach zu!?
Und noch viel wichtiger: ist es moralisch vertretbar dass chronisch Schmerzgeplagte effektive Therapien vorenthalten werden einfach weil manche nicht bereit sind das alte Denkmodell aufzugeben? Müssen wir uns wirklich noch die alten Phrasen wie "so hab ich das (vor 20 Jahren) gelernt?" anhören und warten bis diese Leute in Rente gehen um etwas verändern zu können?
Möchten wir selber wenn wir alt werden und Schmerzen haben eine Erleichterung/Heilung oder sind wir mit dem zufrieden was "man schon immer gemacht hat" (auch wenn es nachweislich nicht hilft)?
Ich sehe das nicht so.
Und genau hier gibt uns das Internet die Möglichkeit endlich eine Verbindung zwischen den Wissenschaftlern und den Patienten herzustellen - zu deren Wohl (und mit deren Geld) die Forschung ja schliesslich betrieben wird.
Wir sind so in der Lage die Verbreitung neuer Therapien und Denkansätze massgeblich zu beschleunigen damit mehr Menschen geholfen werden kann. Mein Blog soll dazu seinen Beitrag leisten.
Wenn man sich anfangs mit der Neuromatrix Theorie auseinandersetzt und über die Möglichkeiten nachdenkt die sich auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens ergeben kann einem schon mal der Kopf rauchen; aber keine Angst: je mehr man diesen Denkansatz versteht umso leichter wird es.Friday, August 10, 2007
Viva La Revolution! - Teil 1
Wissenschaft ist eine wunderbare Sache - aller Wahrscheinlichkeit nach die wichtigste Erfindung die die Menschheit je zustande gebracht hat. Mit wissenschaftlichen Methoden lassen sich alle bekannten (und teils noch unbekannte) Phänomene untersuchen.
Ob es sich dabei um die Laufbahnen der Planeten, den Sonnenuntergang oder das Verhalten von Bakterien handelt ist dabei egal. Die Werkzeuge des Wissenschaftlers sind immer die gleichen: das Phänomen beobachten, beschreiben, definieren - und davon ausgehend Theorien aufstellen. Diese Theorien werden dann getestet und mit dem tatsächlichen Verhalten verglichen woraufhin der ganze Prozess wieder von vorne startet.
Photosynthese ist einer dieser enorm wichtigen Prozesse den ich hier bildlich dargestellt habe:
Im Laufe der Jahre entwickeln sich Theorien also - sie unterliegen einem evolutionären Prozess; diejenigen die nicht in der Lage sind sich experimentell zu behaupten sterben aus.
Um diesen Level an Genauigkeit zu erreichen war - und ist es nötig - jedes Phänomen in seine kleinsten Bausteine zu zerlegen - man nennt das auch "Reduktionismus". Um z.b. im Ernährungsbereich Aussagen treffen zu können werden Lebensmittel in Kategorien wie Kohlehydrate, Eiweis, Vitamine, etc. aufgeteilt und separat untersucht.
Das ist bis zu einem gewissen Level auch nötig und sinnvoll - um aber die gewonnenen Erkenntnisse sinnvoll im alltäglichen Leben anwenden zu können ist eine "Re-Synthese" nötig, d.h. man muss andere - oft weit entferne Forschungsbereiche mit einbeziehen.
Ein Beispiel: Essen hat eine sehr starke soziale Komponente - es dient der Gruppenbildung und ist eine Art von "social grooming" die wir als Herdentiere brauchen. Isst man alleine fehlt also diese starke soziale/psychische Komponente. Deshalb fühlen sich Singles trotz evtl. besserer Ernährung (rein wissenschaftlich reduziert gesehen) bei weitem nicht so "angenehm satt" wie wenn man in Gesellschaft isst.
Auch die Geschwindigkeit mit der man seine Mahlzeiten zu sich nimmt hat einen grossen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden - auch wenn der Nährwert gleich ist.
Diese Reduzierung auf einzelne Komponenten ist auch im medizinischen Bereich üblich - das sieht man alleine schon an der Unterteilung in die ganzen unterschiedlichen Fachgebiete: Orthopädie, Pädiatrie, Innere Medizin, etc.Was macht man aber nun mit einem Patienten der an Rückenschmerzen leidet die er nach einer verheilten Wirbelsäulenfraktur hat? Ist er noch ein orthopädischer Patient (seine Knochen sind ja eigentlich wieder in Ordnung)? - oder ist er "ein Fall für den Psychologen" (denn Schmerz ist ein psychologisches Phänomen)?
Es gibt nach wie vor keinen Beruf dem offiziell die Behandlung eines solchen Falles zuzuteilen ist - obwohl immer mehr Studien und Erfahrungsberichte zeigen dass längst Zeit dafür ist.
Die neuen Technologien die uns durch das Internet zur Verfügung stehen haben die Welt kleiner und "flacher" gemacht wie Thomas Friedman beschreibt. Die alteingesessenen Institutionen und Denkweisen können mit diesen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten. Daher ist ein radikales Umdenken aller beteiligten dringend erforderlich - ein Prozess der nicht ohne Herausforderung ist.
In der Literatur spricht man immer von "interdisziplinären Teams" die diese Aufgabe erfüllen sollen - etwas das wir in unserem Rehazentrum auch mit einigem Erfolg täglich praktizieren.
Ich möchte behaupten dass gerade die Physiotherapie ideal am Schneidepunkt steht und diese Aufgabe (in Zusammenarbeit mit allen anderen) sehr gut übernehmen kann.
Uns steht ein grosses Repertoire an Techniken und Möglichkeiten zur Verfügung - von passiven zu aktiven Anwendungen. Ausserdem haben wir in der Regel mehr Zeit mit dem Patienten zur Verfügung so dass wir auch ein gewisses Vertrauensverhältnis aufbauen können. So erfahren wir oft mehr als der behandelnde Arzt dem leider oft nur wenig Zeit zur Verfügung steht.
Wir müssen über die Grenzen schauen und viele verschiedene Bereiche unter einen Hut bringen. Daraus entsteht dann im Laufe der Zeit eine neue Theorie die unser Verständnis des menschlichen Körpers und seiner Funktionsweise komplett auf den Kopf stellt - die aber den Vorteil hat dass wir darauf basierend neue und effektive Behandlungsmethoden entwickeln und anwenden können.
Die Vorarbeit wurde zum Glück schon geleistet - durch die Arbeit von Melzack und Wall die dem ganzen den Namen "Neuromatrix Theory" gegeben haben.
In den nächsten Postings werde ich versuchen die Grundlagen dieser Theorie zu erklären. Es wird nicht einfach sein dem Ganzen zu folgen weil das meiste davon gegen unsere Intuition geht - aber genau das ist der Schlüssel zum Erfolg. Nur wenn wir begreifen wie imperfekt wir sind können wir uns verbessern.